Die Kollwitzstraße in Berlin-Prenzlauer Berg ist eine Wohn- und Geschäftsstraße, angelegt 1872 in der Hochkonjunktur der Gründerjahre. Sie wurde vornehmlich mit großbürgerlichen Mietshäusern bebaut, viele davon in serieller Bauweise. Anfangs Weißenburger Straße genannt, wohnte dort über mehr als fünfzig Jahre die Künstlerin Käthe Kollwitz, nach der die Straße 1947 umbenannt wurde. In den 1990er Jahren prägte die Straße das Image von ganz Prenzlauer Berg, 2023 gehörte sie zu den teuersten Wohnlagen Berlins.
Lage
Einen Kilometer nördlich des Alexanderplatzes beginnt die Kollwitzstraße am Senefelderplatz und verläuft über gut einen Kilometer Länge nordwärts quer durch den sogenannten Kollwitzkiez. Sie passiert Metzer und Belforter Straße und liegt zwischen Knaackstraße und Wörther Straße am Kollwitzplatz. Im weiteren Verlauf kreuzt sie die Sredzkistraße und endet an der Danziger Straße, um dort in die Senefelderstraße überzugehen.
Die Weißenburger Straße gehörte zum ehemaligen Stadtteil der Rosenthaler Vorstadt. Ihre Nummerierung in Hufeisenform wurde 1877 erstmalig geändert, ein Jahr nach der Umbenennung bekam die Kollwitzstraße 1948 ihre heutige Orientierungsnummerierung.
Verkehr und Straßenbild
Die Kollwitzstraße ist mit 34 Metern relativ breit, von den 1872 angelegten, je vier Meter breiten Vorgärten sind einige Einfriedungen erhalten. Auf der Fahrbahn ist Platz für beidseitige Pkw-Parkflächen in Senkrechtaufstellung. Der südliche Abschnitt am Senefelderplatz wurde um 1990 dauerhaft verkehrsberuhigt und die Einmündung zur Schönhauser Allee für den Kraftverkehr versperrt. Auf der Fahrbahn ist dort ein historisches Großsteinpflaster von 1897 erhalten, es stand 2024 unter Denkmalschutz. Seit 2012 ist die Kollwitzstraße jeden Samstag für einen Wochenmarkt zwischen Knaack- und Sredzkistraße gesperrt.
Ab 1894 durchfuhr die Weißenburger Straße eine Straßenbahn mit Endhaltestelle an der Kreuzung zur Danziger Straße. Die rot–grüne Linie 53 führte stadteinwärts zum Hackeschen Markt und weiter Richtung Hermannplatz. Anfangs betrieben von der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn wurde die Linie im März 1900 elektrifiziert und 1938 eingestellt.
1889 pflanzte die Stadtverwaltung in der Weißenburger Straße in relativ engem Abstand insgesamt 265 Bäume, vermutlich Linden. Seit dem Ersten Weltkrieg wurden sie durch Platanen (Platanus acerifolia) ersetzt, deren alter Bestand 2024 das Straßenbild bestimmte. Das Pflanzjahr fast aller Bäume wird mit 1938 angegeben.
Geschichte 1872–1947: die Weißenburger Straße
Frühes 19. Jahrhundert: Büttner’scher Feldweg und Judengang
Zusammen mit der parallel laufenden Greifswalder Straße und der Kastanienallee gehört die Kollwitzstraße zu denjenigen Straßen, die entlang alter Ackerfluren der nördlichen Berliner Feldmark verlaufen, um 1750 genannt Remisen oder Eichelhufen. Sie verläuft in voller Länge parallel zum ehemaligen Büttner’schen Feldweg, der nach der Separation 1822 das Land des Großgrundbesitzers Wilhelm Gotthold Büttner im Osten begrenzte. Am südlichen Teil des Feldweges verkaufte Büttner 1824 ein Stück Land an die Jüdische Gemeinde, die dort den Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee anlegte. Der alte Feldweg an der Friedhofsmauer wurde bekannt als Judengang, er wurde nie bebaut und ist seit 2003 ein Gartendenkmal an den Höfen der Kollwitzstraße 17–59. Östlich des Feldwegs befanden sich 1822 Äcker des Großgrundbesitzers Christian Friedrich Bötzow, dem Großvater des Brauereibesitzers Julius Bötzow.
Zu den ersten Bewohnern der Gegend zählte die Familie des Mühlenmeisters Dedlow, ihr Haus befand sich ab 1827 an der Südspitze des Judengangs, ihre Privatmühle stand oberhalb der heutigen Kollwitzstraße, nördlich von Würst’s Lokal nahe der heutigen Straßburger Straße. Die Bockwindmühle der Dedlows war eine der letzten Mühlen auf dem Windmühlenberg, sie brannte im Juli 1872 ab. Nördlich der Mühlen und östlich der heutigen Kollwitzstraße gelegen befand sich ab den späten 1850er Jahren ein großer Wasserspeicher der Berlin Waterworks Company am heutigen Wasserturmplatz.
Ab 1872: Straße der Gründerjahre
Als Planstraße war die heutige Kollwitzstraße im Bebauungsplan von 1862 noch genau im Verlauf des Büttner’schen Feldwegs vorgesehen. Dies änderte sich 1872 in der Hochkonjunktur der Gründerjahre, als zwei Actien-Bauvereine das Land erwarben. Der Actienbauverein Königstadt kaufte mehrere Äcker der Familie Bötzow, der Deutsch-Holländische Actien-Bauverein übernahm die ausgedehnten Felder der Büttner’schen Erben für angeblich fünf Millionen Thaler. Fast die gesamte Fläche des heutigen Kollwitzkiezes war nun in Besitz dieser beiden Aktiengesellschaften.
1872 beantragte der Actienbauverein Königstadt eine Änderung der Bebauungspläne, und die damalige Planstraße Nr. 4 wurde rund fünfzig Meter vom Friedhof versetzt weiter ostwärts angelegt. Dadurch wurde eine beidseitige Bebauung der Straße mit Mietshäusern ermöglicht, und auch die Anlage der geplanten Stadtplätze änderte sich: Am südlichen Ende der Straße entstand eine neue Fläche für den späteren Senefelderplatz, die Fläche des heutigen Kollwitzplatzes (damals: Platz H) wurde wesentlich vergrößert – aus den Plänen gestrichen dagegen wurde ein großer, dreieckiger Platz B an der westlichen Ecke zur Danziger Straße. Die Breite der neuen Straße wurde auf großzügige 34 Meter festgelegt.
Dem Actienbauverein Königstadt gehörte das Land an der südlichen Straßenhälfte, das er parzellenweise an private Bauherren verkaufte. An der „städtebaulich herausragenden nördlichen Platzkante“ am späteren Senefelderplatz entstand 1874 ein repräsentatives Gebäude mit großer Dachkuppel.
Die nördliche Straßenhälfte ab den heutigen Hausnummern 50/51 war in Besitz des Deutsch-Holländischen Actien-Bauvereins. Dieser trat selbst als Bauherr auf und unternahm 1873 den ersten und bis in die 1920er Jahre einzigen Anlauf, den Wohnungsbau in Berlin zu industrialisieren. Sein Architekt Otto Klau plante eine Reihe repräsentativer, großbürgerlicher Mietshäuser mit Vorgärten, klassizistischen Fassaden, marmornen Treppenhäusern, „üppig dimensionierten“ Geschossflächen von gut 300 Quadratmetern sowie Geschosshöhen von bis zu 4,40 Meter. Nach dem Gründerkrach Ende 1873 wurden die Grundrisse dem Immobilienmarkt etwas angepasst und die meisten Häuser mit Seitenflügeln fertiggestellt, in denen zusätzliche, kleinere Wohnungen untergebracht wurden.
24 Häuser errichtete der Deutsch-Holländische Actien-Bauverein bis 1876 entlang der Straße. Sie hatten vier bis fünf Geschosse und weitgehend gleiche Grundrisse, unterschieden sich allerdings deutlich im Fassadenschmuck. In äußerst kurzer Bauzeit wurden die Gebäude in einem damals innovativen, rationalisierten Prozess hergestellt: der Bauverein errichtete dazu nördlich der Danziger Straße mehrere Fabriken für die Herstellung von Beschlägen und Bauholz sowie eine große Ziegelei mit Ringofen auf dem heutigen Helmholtzplatz.
Mit der Fertigstellung der ersten Häuser wurde die Straße Nr. 4 im März 1874 per Kabinettsordre als Weißenburger-Straße benannt, nach der Schlacht bei Weißenburg im Elsass im Deutsch-Französischen Krieg 1870. Die kreuzende Tresckow- und Franseckistraße bekamen Namen preußischer Generale. Nachdem zahlreiche hohe Offiziere, darunter der spätere Generalmajor Gustav von Kortzfleisch, repräsentative Wohnungen in der Weißenburger Straße bezogen, hieß die Gegend im Volksmund Generalsviertel, mit „großen stattlichen Häusern, welche von einem anständigen Publikum, Beamten, Lehrern, Kaufleuten etc. bewohnt“ waren.
Bis Mitte der 1880er Jahre war der Deutsch-Holländische Actien-Bauverein in der Weißenburger Straße tätig. 1884 erwarben die Bauunternehmer Leberecht Haase und Rudolf Mücke insgesamt zehn Grundstücke im nördlichen Straßenteil, an der Kreuzung zur Fransekistraße (heutige Sredzkistraße) errichteten sie drei große, sechsgeschossige Eckhäuser.
1876 und 1886: Anlage der Schmuckplätze
Nachdem der Actienbauverein Königstadt sein Bau-Bureau am südlichen Ende der Weißenburger Straße abgezogen hatte, legte die Berliner Parkverwaltung unter Gustav Meyer dort 1876 einen Schmuckplatz an, genannt Thusneldaplatz. 1892 wurde an der Südspitze ein Denkmal für den Erfinder der Lithografie Alois Senefelder aufgestellt und der Platz 1896 in Senefelderplatz umbenannt.
Verzögert durch langwierige Verhandlungen mit den vier Voreigentümern begann die Berliner Parkverwaltung unter Direktor Hermann Mächtig erst 1886 mit dem Ausbau des Wörther Platzes (heute Kollwitzplatz). 1899 stellte die Stadtverwaltung an der Ecke zur Wörther Straße einen größeren Springbrunnen auf, der zuvor auf dem Alexanderplatz gestanden hatte. Dort war am alten Ort, unweit des heutigen Brunnens der Völkerfreundschaft, 1895 eine Berolina errichtet worden. Auf dem Wörther Platz stand der Springbrunnen – ein Etagenbrunnen in rundem Becken mit Wasserpflanzen – bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Seit der Umgestaltung des Kollwitzplatzes 1949 durch Reinhold Lingner befindet sich an der Ecke ein Kinderspielplatz.
Neben den Schmuckplätzen bestand das Straßengrün in den ersten Jahrzehnten vornehmlich aus Vorgärten, die beidseitig an den Gehwegen vor den meisten Häusern der Straße lagen.
1890er Jahre: „Ladenausbrüche“ und wachsender Geschäftsverkehr
1897 wurde die Straße neu gepflastert, der südliche Teil am Senefelderplatz bekam das noch heute erhaltene Großsteinpflaster, der nördliche Teil wurde asphaltiert. Ein Anwohner aus dem Haus Nr. 12 beschrieb die Straße als zunehmend belebt:
An der Weißenburger Ecke Metzer Straße 41 eröffnete der Kaufmann Rudolf Moses 1886 eine Posament-Waarenhandlung. In den 1890ern zweigeschossig ausgebaut, war sie eine der größten Stoff- und Wäschehandlungen des Bezirks. 1895 expandierte Moses und gründete das große Kaufhaus R. & S. Moses am Weddingplatz, das Geschäft Ecke Weißenburger Straße nannte er später Kaufhaus Rudolf Moses, bei der Geschäftsaufgabe 1918 hieß es Kaufhaus zum Stern. 1919 erfolgte im Erdgeschoss ein Umbau zum Kino, das bis 1949 unter den Namen Union Theater und Lichtspiele am Senefelderplatz betrieben wurde. Seit 1959 werden die Räume als Kindertagesstätte genutzt, mit Eingang an der Kollwitzstraße 16.
Schulhaus Weißenburger Straße 36
Die heutige Kollwitzstraße 80 war über mehrere Jahrzehnte, von 1881 bis 1908, ein Gemeindeschulhaus. 1874 vom Deutsch-Holländischen Actien-Bauverein als Wohnhaus erbaut, zog die komplette Bewohnerschaft – insgesamt achtzehn Haushalte – 1881 wieder aus, als die Stadt Berlin das Gebäude anmietete und dort die 121. Gemeindeschule einrichtete. Im Haus wurden mehr als eintausend Schulkinder untergebracht, es wurde zu einem dauerhaften Provisorium:
In den kommenden Jahrzehnten verteilten sich tausende Kinder aus der Miethsschule auf mehrere neugegründete Schulbauten in der Umgebung, insgesamt vier Schulen haben in der heutigen Kollwitzstraße 80 ihren Ursprung:
- Das heutige Kultur- und Bildungszentrum Sebastian Haffner, Sitz des Museum Pankow. Die 121. Gemeindeschule, gegründet 1881 in der Weißenburger Straße 36, zog 1886 in den von Hermann Blankenstein errichteten Schulbau an der Prenzlauer Allee.
- Die Grundschule im Hofgarten. Die 162. Gemeindeschule, 1886 in der Weißenburger Straße gegründet, zog 1894 in den ebenfalls von Blankenstein errichteten Neubau in der Danziger Straße.
- Die Gemeindeschule Oderberger Straße. Seit 1894 in der Weißenburger Straße, zog die katholische 200. Gemeindeschule 1902 in die von Ludwig Hoffmann erbaute neue Schule.
- Die Grundschule an der Marie. Die katholische 239. Gemeindeschule, ab April 1900 mit achtzehn Klassen und knapp 1000 Plätzen in der Weißenburger Straße untergebracht, zog im Oktober 1908 in das neue Schulhaus in der Christburger Straße.
Nach 27 Jahren Schulbetrieb wurde das Haus 1909 umgebaut und ab 1910 wieder als Wohnhaus genutzt.
Schulhaus Weißenburger Straße 4a
II. Städtische Realschule (1889–1932)
Auf einem Hofgrundstück vis-à-vis dem Senefelderplatz wurde 1889 nach Plänen von Stadtbauinspektor Fritz Haack ein Gebäude für die die II. Realschule (Höhere Bürgerschule für Knaben) errichtet. Der 44 Meter lange Bau bot Platz für mehr als 450 Schüler und war von der Straße aus nur durch eine Häuserlücke – fünf Meter schmal und fünfzig Meter lang – zu erreichen (heute Kollwitzstraße 8). Zur Ausstattung der Schule gehörte eine separate Turnhalle, eine kleine Aula, eine Bibliothek sowie eine Amtswohnung für den Direktor. Zum 25-jährigen Bestehen bekam die Schule 1911 den Namen Hecker-Realschule, nach dem Schulreformer Johann Julius Hecker. 1932 wurde die Schule vom Magistrat aufgelöst.
Sophien-Lyzeum (1936–1939)
1932 zog ein privates Mädchen-Gymnasium mit rund 200 Schülerinnen ein – genannt Ulrich’sches Lyzeum, Schulleiterin war Marie Pomme. Nach ihrem Tod übernahm 1936 das Sophien-Lyzeum aus der Weinmeisterstraße sowohl die Räume als auch sämtliche Schülerinnen und war bis 1939 in der Weißenburger Straße 4a ansässig. 1940 wurde das Lyzeum mit der Cosima-Wagner-Schule zusammengelegt, zog zunächst in die Pasteurstraße, später in die Dunckerstraße und hieß seit 2013 Käthe-Kollwitz-Gymnasium.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Schulbau in der Weißenburger Straße beschädigt und anschließend mit Ausnahme der Turnhalle abgerissen. 1960 entstand im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks ein langer Flachbau für eine Kegelbahn, daneben Klubräume und Ballspielplätze, später genannt „Freizeitcenter“. Seit Sommer 1993 ist die Anlage ein öffentlich geförderter Sportjugendklub, auf der wettkampftauglichen Bohlebahn trainierte 2024 unter anderem der Sportverein der Berliner Verkehrsbetriebe.
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Zwischen 1933 und 1945 wurden in der Weißenburger Straße insgesamt 37 Häuser jüdischer Eigentümer beschlagnahmt, zwangsversteigert oder (zwangs)verkauft. Für sechzehn Immobilien bekam die Jewish Claims Conference 1993–2008 Entschädigungen ausgezahlt. 2024 waren im Gehwegpflaster vor den Haustüren 25 Stolpersteine verlegt für Menschen, die von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurden.
In der Kollwitzstraße gab es sehr große Kriegsschäden, mehr als zwanzig Wohnhäuser wurden bei alliierten Luftangriffen 1943 und 1945 zerstört. Bei einem Großangriff britischer Bomber am 22. und 23. November 1943, der auch die Charlottenburger Gedächtniskirche traf, stürzte ein mit Bomben beladenes Flugzeug auf ein Gebiet zwischen Senefelderplatz und Belforter Straße. Allein in Prenzlauer Berg wurden an den zwei Abenden der Luftangriffe mehr als 1300 Gebäude getroffen:
Auch das Wohnhaus von Käthe Kollwitz in der Weißenburger Straße 25 wurde am 23. November 1943 getroffen und zerstört. Zahlreiche ihrer frühen Gemälde und Zeichnungen verbrannten. Weitere Bomben fielen auf eine Filiale der Löwenbrauerei im Eckhaus Belforter Straße 30 – ein gegenüber gelegenes großes Betriebsgelände auf dem Hof Belforter Ecke Weißenburger Straße erlitt „Totalschaden“. Im Mai 1944 waren fast alle Gebäude zwischen Metzer und Belforter Straße ausgebrannt.
Vierzehn Monate später, nach einem Luftangriff am 24. Februar 1945, notierten die Behörden: „Treffer von Minen- und Sprengbomben auf Fahrbahn Weißenburger Ecke Wörther Str., Wohnhaus Tresckow- Ecke Weißenburger Str., Wörther Str. 34“ (seit 2002 Grünfläche „Schöne Ecke“, Kollwitzstraße 67). Beim größten Angriff der amerikanischen Luftstreitkräfte während des Krieges mit Stabbrandbomben und Flüssigkeitsbomben am 18. März 1945 entstanden in der „Gegend der Weißenburger Straße“ mehrere Großbrände. Am 11. April 1945 zerstörte eine Luftmine das Haus Weißenburger Straße 75 am heutigen Abenteuerspielplatz.
Inmitten der Trümmer veranstaltete die Rote Armee kurz vor Kriegsende am 1. Mai 1945 auf dem Wörther Platz eine Siegesfeier.
Geschichte ab 1947: die Kollwitzstraße
Nachkriegszeit
Am 8. Juli 1947, dem 80. Geburtstag von Käthe Kollwitz (1867–1945), wurde die Straße von Weißenburger Straße in Kollwitzstraße umbenannt. Bei einer Feierstunde vor Ort mit Bürgermeisterin Ella Kay bekam auch der Wörther Platz einen neuen Namen, er wurde nach Käthes Ehemann, dem Arzt und Sozialdemokraten Karl Kollwitz in Kollwitzplatz umbenannt.
Mit einer Reihe Grafiken von Käthe Kollwitz eröffnete im August 1949 das Kunstkabinett Prenzlauer Berg in der Kollwitzstraße 93. Eingerichtet auf Initiative von Herbert Tucholski und betrieben vom kommunalen Kunstamt, wurden die Räume bis in die späten 1950er Jahre genutzt, etwa für Ausstellungen von Otto Dix, Sella Hasse, Fritz Koch-Gotha und Gustav Seitz, der dort seine Entwürfe für das Käthe-Kollwitz-Denkmal vorstellte. Das Kunstkabinett – auch bekannt als „Kollwitz-Kabinett“ – war Vorläufer der 1973 eröffneten kommunalen Galerie am Prater.
Während die nördliche Hälfte der Straße relativ wenige schwere Kriegsschäden erlitt, dauerte die Enttrümmerung der südlichen Kollwitzstraße viele Jahre:
Noch acht Jahre nach dem Krieg waren zahlreiche zerstörte Fenster zur Straße mit Pappe oder Brettern verhangen – viele Wohnungen und Läden standen leer. Im Sommer 1953 schlug die Sowjetarmee für mehrere Wochen ein Feldlager auf dem Kollwitzplatz auf, die Soldaten waren zur Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 dort stationiert. Um den Platz standen zahlreiche Panzer.
DDR: Verfall des Volkseigentums
Fast alle Gründerzeithäuser der Kollwitzstraße wurden in der DDR enteignet und in Volkseigentum oder kommunale Verwaltung überführt. Sie galten als „kapitalistische Bausubstanz“, in ihre Erhaltung wurde wenig investiert. Um 1958 wurden in Bombenlücken am Senefelder- und Kollwitzplatz zwei neue Wohnhäuser errichtet, und 1959 das beschädigte Eckhaus Kollwitzstraße 59 mit originaler Fassade wieder aufgebaut. Dort zog im gleichen Jahr der Maler Harald Metzkes ein:
Mit fortschreitendem Verfall der alten Häuser verließen zahlreiche Menschen die Straße, zurück blieben „Rentner, Niedrigverdiener“ und leere Wohnungen, vor allem in den Seitenflügeln. Mit dem Zuzug zahlreicher Studenten, Künstler und Kreativer begann in den 1980er Jahren eine Gentrifizierung, es bildete sich eine größere subkulturelle Bewegung und Prenzlauer Berg wurde bekannt als die „Große Nische“, als „Hort größtmöglicher Freiheit in der DDR.“ Unter den Augen der Stasi organisierte eine literarisch produktive Kunstszene Ausstellungen, Lesungen und Samisdat-Zeitschriften. Die Atmosphäre im Viertel, so der Lyriker Andreas Koziol, damals wohnhaft in der Kollwitzstraße, war geprägt von „defensiver Anarchie und erfinderischer Notgedrungenheit“.
1990er Jahre: Das „Herz“ von Prenzlauer Berg
Mit dem Ende der DDR und dem Ende der „Großen Nische“ verbreitete sich ab 1990 ein neuer „Mythos Prenzlauer Berg“, als Erzählung „von Widerstand und Solidarität, vom vertrauten Dorf inmitten der tosenden Großstadt“. Zahlreiche Presseberichte sahen den Ursprungsort dieses Mythos „zwischen Kollwitzplatz und nahegelegenem Wasserturm“:
Die Kollwitzstraße galt damals als „Herz des Prenzlauer Berges“, sie prägte in den frühen 1990er Jahren das Image des ganzen Stadtbezirks, und der Mythos begann, sich in zahlreichen kulturellen und gastronomischen Investitionen niederzuschlagen:
Die „erste Kneipe am Kollwitzplatz“ nach der Wende war von 1990 bis September 1997 das Café Westphal in der Kollwitzstraße 64. Es bezog die ehemaligen Räume der dort ab 1891 ansässigen Ost- und Westpreußischen Branntwein- und Liqueur-Industrie von F. C. Westphal. Als erstes Restaurant der Straße eröffnete die Krähe 1991 im Haus Nummer 84. Zahlreiche weitere Neugründungen folgten, 1996 gab es im Kollwitzkiez einhundert Kneipen.
Mehr als zwei Drittel der Häuser wurden in den 1990er Jahren restituiert, und anschließend jedes zweite Haus in der Kollwitzstraße weiterverkauft. Zeitgleich mit der aufkommenden Gründerwelle wurde das Viertel 1993 zum städtebaulichen Sanierungsgebiet erklärt, bis 2008 flossen 68 Millionen Euro (heute etwa 93 Millionen Euro) an öffentlichen Mitteln in den Ausbau und die Modernisierung von Wohnungen, es entstanden etwa vierhundert neue, teils aufwendige konstruierte Dachgeschosswohnungen. 1997 wurden in der Kollwitzstraße bereits Mieten von bis zu 35 Mark (entspricht heute 29 Euro) pro Quadratmeter verlangt. Nach Abschluss der Sanierungen gehörte der Kollwitzkiez 2023 wieder zu den teuersten Wohnlagen in Berlin.
Nachverdichtung ab 1990
In der Kollwitzstraße werden mehrere Immobilien von der kommunalen Gewobag verwaltet, darunter das denkmalgeschützte Haus Nummer 69 und das 1958 erbaute Haus Nummer 38 am Kollwitzplatz. Die Gewobag-Vorgängerin WIP errichtete 1995 einen größeren Sozialbau mit öffentlichem Hofspielplatz in der Kollwitzstraße 4 und ließ am Ort des kriegszerstörten Wohnhauses der Familie Kollwitz 1996 das kleinste Wohngebäude der Straße errichten. Mit großenteils fensterloser Fassade und einem Treppenhaus zur Straßenseite beinhaltet der Bau fünf Sozialwohnungen und kostete rund drei Millionen Mark (heute etwa 2,5 Millionen Euro).
Eine weitere Kriegslücke am nördlichen Kollwitzplatz (Kollwitzstraße 70) wurde 1996 vom Architekten Alfred Grazioli bebaut. Gegenüberliegend entstand 1999 ein siebengeschossiges Wohnhaus mit der Hausnummer 68. Weiter nördlich baute der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband in der Kollwitzstraße 94/96 sein Haus der Parität, seit 2002 Verbands-Geschäftsstelle und Zuhause zahlreicher Menschen mit Hilfebedarf. Das Eckhaus Kollwitzstraße 14 am Senefelderplatz, in den 1950er Jahren mit einem sechsgeschossigen Wohnhaus neu bebaut, wurde 2005 mit einem Atelierwohnhaus zur Metzer Straße ergänzt.
Bereits von etwa 1970 bis 2000 stand an der Kollwitz- Ecke Belforter Straße ein größerer Flachbau, errichtet für den VEB Datenverarbeitung der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft. 2009 wurde an der Ecke nach Plänen von Marc Kocher ein großer, siebengeschossiger Häuserkomplex mit 73 Wohnungen errichtet, genannt KolleBelle. Angrenzend entstand 2016 in der Kollwitzstraße 20 ein Neubau des Architekten Eike Becker.
Persönlichkeiten
Wissenswertes
- Die Weißenburger Straße 66, heute Kollwitzstraße 53, war von 1891 bis 1900 Sitz des Allgemeinen Deutschen Gärtner-Vereins, einer gewerkschaftlichen Vorläuferorganisation der ÖTV und der ver.di. Im Haus befand sich auch die Redaktion der Allgemeinen deutschen Gärtner-Zeitung.
- 1913 wurde zur Stromversorgung der erweiterten U-Bahn-Linie A ein unterirdisches Gleichrichterunterwerk zwischen Weißenburger Straße und dem U-Bahnhof Senefelderplatz errichtet.
- Aus der Weißenburger Straße 33 (heute Kollwitzstraße 74) deportierten und vertrieben die Nationalsozialisten von 1941 bis 1943 sechs Menschen, darunter den Mitbegründer der Widerstandsgruppe Chug Chaluzi Leopold Chones, ermordet 1943 in Auschwitz. Von der Nachkriegszeit bis 1991 betrieben Meta Lohrey und Familie im gleichen Haus ein Fuhrunternehmen mit bis zu achtzehn Pferden im Stallgebäude auf dem Hof.
- In der Kollwitzstraße 56 Ecke Knaackstraße befand sich von 1961 bis in die späten 1990er Jahre ein Veteranenklub der Volkssolidarität.
- Im Seitenflügel der Kollwitzstraße 80, parterre links, unterhielt das Ministerium für Staatssicherheit von 1973 bis 1989 eine Konspirative Wohnung.
- In der Kollwitzstraße 50 organisierte Uwe Warnke im Herbst 1984 den „Letzten Deutschen Kunstsalon“, Thema einer Sondernummer der Samisdat-Zeitschrift Entwerter/Oder.
- 1990 eröffnete das Netzwerk Spiel/Kultur in der Kollwitzstraße 37 den Abenteuerlichen Bauspielplatz.
- Bei der ersten privaten Immobilien-Auktion in Ost-Berlin im Dezember 1990 ersteigerte das Künstlerpaar Christoph Radke und Klaus Schmidt unter großem Medieninteresse das Mietshaus Kollwitzstraße 52 für 1,05 Millionen Mark (heute etwa 1,07 Millionen Euro).
- Die Kollwitzstraße 57 ist seit 1995 Eigentum einer Mietergenossenschaft. Dort hat der Lukas Verlag seinen Sitz.
- In Günter Grass’ Roman Ein weites Feld (1995) wohnt die Hauptfigur Fonty im Dachgeschoss der Kollwitzstraße 75.
- 1995 zog das Zinnober, erstes Freies Theater der DDR, unter dem Namen Theater o.N. in die Kollwitzstraße 53.
- Während seines Staatsbesuchs im Juni 2000 speiste US-Präsident Bill Clinton in einem Restaurant an der Knaack- Ecke Kollwitzstraße.
Literatur
- Michael Bienert: Erinnerungen an alle Räume. Wohnungen und Nachbarn der Familie Kollwitz in der Weißenburger Straße 25. In: Kathleen Krenzlin für das Bezirksamt Pankow von Berlin (Hrsg.): Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-422-07424-8, S. 79–95.
- Johann Friedrich Geist, Klaus Kürvers: Das Berliner Mietshaus 1864–1945. Band 2. Prestel, München 1984, ISBN 3-7913-0696-0, S. 319 ff. (Häuserbau 1873 in der Weißenburger Straße)
- Alexander Haeder: Für eine halbe Ewigkeit. Das Wohnviertel der Familie Kollwitz am Wörther Platz. In: Kathleen Krenzlin für das Bezirksamt Pankow von Berlin (Hrsg.): Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-422-07424-8, S. 69–77.
- Alexander Haeder: Stadtentwicklung und Industrialisierung. Drei Fallstudien zur Stadtbau- und Architekturgeschichte Berlins zwischen 1830–1918. Greifswald 2001, bes.: Kapitel 2.2.5 bis 2.2.7, S. 138–163 (Dissertationsschrift).
- Alexander Haeder, Ulrich Wüst: Prenzlauer Berg. Besichtigung einer Legende. Edition q, Berlin 1994, ISBN 978-3-86124-140-9, bes.: S. 108 ff. (Neubaugebiet Weißenburger Straße 1872–1874).
- Dieter Krause: Kollwitz 66. Berliner Kindheit in den fünfziger Jahren. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-89561-102-5 (Autobiografie)
- Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 27.10.2011 - OVG 2 B 5.10. openjur.de (Detaillierte Beschreibung der städtebaulichen Bedeutung des Denkmalensembles Kollwitzplatz sowie des Denkmalwertes des Gebäudes Kollwitzstraße 62)
- Bettina Reimann: Städtische Wohnquartiere. Der Einfluss der Eigentümerstruktur. Eine Fallstudie aus Berlin Prenzlauer Berg. Leske Budrich, Opladen 2000, ISBN 978-3-8100-2889-1 (Mikroökonomische Studie zu Eigentumsverhältnissen in der Kollwitzstraße 1873–1999)
Bildende Kunst
- Harald Metzkes (* 1929)
- Fußwegereparatur Kollwitzstraße (1969). Öl auf Leinwand, 24 cm × 30 cm
- Kollwitzstraße (1981). Vierfarbiger Reduktions-Holzschnitt, 27 cm × 36,2 cm (Kunstsammlung Pankow)
- Berliner Runde, Kollwitzstraße 59, 4.Stock (1997). Öl auf Leinwand, 250 cm × 200 cm (Stadtmuseum Berlin)
- Klaus Roenspieß (1935–2021)
- Platanen der Kollwitzstraße im Winter (2010). Öl auf Leinwand, 100 cm × 80 cm
- Hans-Otto Schmidt (* 1945)
- Kollwitzstraße (1991), Öl auf Leinwand, 61 cm × 85 cm
- Christine Perthen (1948–2004)
- Weißenburger Straße im November (1983). Kaltnadel auf Papier, 34,5 cm × 49 cm (Kunstsammlung Pankow)
- Das Denkmal am Kollwitzplatz (1984). Kaltnadel auf Papier, 34 cm × 49 cm (Kunstsammlung Pankow)
- Sergej Alexander Dott (* 1959)
- Leuchtender Pfad (1997). Fassadenprojekt, Brandwand der Kollwitzstraße 18
- Kuhuunst – Fassadenprojekt 3 (1999–2000). Kollwitzstraße 18 (Siebdrucke in der Sammlung Haupt)
- Wilde Natur (2004–2006), Kunst am Bau, Kollwitzstraße 18
- Pat Binder (* 1960)
- Denkzeichen. Foto/Graphik Galerie Käthe Kollwitz. (1997–2006). Leuchtkasten-Galerie an der Fassade Kollwitzstraße 56a.
Weblinks
- Liste der Baudenkmale in der Kollwitzstraße. In: Denkmaldatenbank des Landesdenkmalamts Berlin.
- Kollwitzstraße 52 – Berlin-Prenzlauer Berg. (detailreiche Geschichte des Hauses).
Einzelnachweise




